Ein jeder kennt ihn, denn er ist auf internationalem Parkett unterwegs. Herr N. Mensch ist unter vielen verschiedenen Namen und in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen, auch wechselt er sein Mäntelchen je nach kultureller Umgebung, doch in einem bleibt er sich stets treu: In seinem Selbstbild. Wie einst Narziss vermag er keinen Makel in seinem Teichspiegelbild zu entdecken, es strahlt ihm entgegen und entzückt ihn so sehr, dass er beschließt, es nicht seinem Vorbild gleichzutun und in Anstand selbstumarmend zu ertrinken, sondern sein Ego in die Welt hinauszutragen, auf dass ihm die Nymphen liebestrunken zu Füßen liegen mögen.
Denn die mag er, die Nymphen. Auch wenn er ihr Geplapper hohl findet - irgendwie findet er sie ja niedlich. Und vor allem: Sein. Und was sein ist, darf niemand anrühren. Kurzerhand wird die Nymphe also ohne ihr Zutun oder auch nur ihr Wissen in den heiligen Stand der Frau N. Mensch erhoben. Als solche wird sie eifersüchtig bewacht und verteidigt vor jedem, der das Territorium im wahrhaften oder im bildlichen Sinne betritt.
Frau N. Mensch gehört ihm.
Frau N. Mensch muss beschützt werden.
Frau N. Mensch ist nämlich leider ein bisschen doof.
Vor allem aber ist Frau N. Mensch Mittel zum Zweck.
Denn Herr N. Mensch ist nicht der Gentle Man, als der er sich so gerne geriert.
Er ist der Politiker, der den Frauen im Tonfall der väterlichen Fürsorge ganz lieb erklärt, dass sie gar nicht wissen können, ob eine Abtreibung wirklich die richtige Entscheidung für sie ist. Denn schließlich ist allgemeinhin bekannt, dass frau zu hysterischen Überreaktionen neigt und solch eine Entscheidung, pardon the pun, allzu schnell aus dem Bauch heraus trifft, statt wirklich mal nachzudenken, was das- man höre und staune- für die „Zukunft der Nation“ bedeuten könnte. Er bezeichnet die Gebärmutter als „Ort mit der höchsten Sterbewahrscheinlichkeit“ und will dafür sorgen, dass die Familie als „Keimzelle der Nation“ wieder stärker wird, verkauft das als nostalgischen Gedanken und verschweigt dabei, dass die Frau, die brav in der Küche steht, kaum gleichzeitig Karriere machen und für ihr Kind sorgen kann. Und dass genau das jetzt schon ein Problem ist- ein wahrhaftiger Ritter im Auftrag des weiblichen Geschlechts also dafür ins Feld ziehen würde, dass es bessere Kinderbetreuung gibt und dass man gar nicht mehr darüber reden muss, ob es gehaltstechnische Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Der in der rostigen Rüstung hingegen weigert sich, Frauenhäuser zu unterstützen, tut sie als „Unfug“ ab, der „Familien zerstört“. Ein liebevolles Heim für den prügelnden, vergewaltigenden Gatten wird man doch wohl auch noch mit ein paar gebrochenen Rippen schaffen können, bitteschön! Und wer ein zugeschwollenes Auge hat, sieht mit dem anderen schließlich noch gut genug, um die Bunt- von der Weißwäsche trennen zu können.
Er ist der Anhänger eben dieser Politik, ist diese ja gleichzeitig praktischerweise noch der Garant dafür, dass in Zukunft kein kulturfremder Rivale mehr das Territorium betreten soll. Vor dem nämlich gilt es Frau N. Mensch zu schützen, denn sie mag zwar nicht gut genug sein, um selbst Entscheidungen treffen oder gar gleich viel verdienen zu können, aber für den Eindringling ist sie dann doch zu gut. Ironischerweise wird der Eindringling mit all den Eigenschaften bedacht, die Herrn N. Mensch zu eigen ist. „Die respektieren unsere Frauen nicht!“ – „Die haben doch ein Frauenbild aus dem vorigen Jahrhundert!“ – „Die betatschen unsere Frauen!“ Unsere. Meine. MEINS! Ironie ist allerdings etwas, das Herrn N. Mensch zuverlässig entgeht, was reiner Selbstschutz sein mag, denn sonst müsste er sich ja eingestehen, dass er mit dem vermeintlichen Feind nicht nur an einem Tisch sitzt, sondern auch noch aus demselben Becherchen schlürft. Müsste sich eingestehen, was Frau N. Mensch, Gentle Man und die meisten anderen auch schon längst wissen: Dass es hier nicht um den Schutz der Frau geht. Sondern dass er sich ihres gebeugten Rückens (Boden schrubben geht schließlich schlecht im Stehen) bedient, um auf ihm seinen ganz eigenen und höchst egoistischen Kampf auszutragen. Um danach, wenn er fertig gekämpft hat, herabzusteigen und zu fragen, warum das Abendessen noch nicht fertig ist.
Er ist der Familienvater, der das Todesurteil über seine eigene Tochter verhängt, weil sie sich von einem Mann hat berühren lassen, der nicht der ihr angetraute ist. Und der bei der Vollstreckung derjenige ist, der den ersten Stein wirft. Nicht etwa im übertragenen Sinne, sondern im wörtlichen. Auch er, weil er die Tochter beschützen will, auf dass sie nicht nochmal Opfer ihrer eigenen Verderbtheit werde. Auch er natürlich in Wirklichkeit, um vor den anderen steinbewehrten Geiferern das Gesicht zu wahren. Die anderen Töchter und seine Frau N. Mensch, alle Frauen um ihn herum, beschützt er weiterhin fürsorglich. Er schenkt ihnen bodenlange Säcke und Schleier, um Körperform und Gesichtszüge so zu verdecken, dass kein Mann bei ihrem Anblick um den anscheinend kärglich vorhandenen Verstand kommen kann. Auch hier ist die einem ins unverschleierte Gesicht springende Ironie ein Perlenhaufen vor die Saubande. Und während die Steine fliegen, die Peitsche knallt und die Stoffbahnen wallen, wird sich auf ein Buch berufen, in dem es diese drakonischen Maßnahmen so nicht gibt. Was die Frau im besten Fall aber nicht weiß, schließlich soll sie ihren Geist nicht mit Lesen oder gar Verstehen belasten. Sie braucht ihre wertvolle Energie, um den verwirrenden Drahtseilakt zu vollbringen, eine Heilige zu sein, die es zu beschützen gilt, während sie gleichzeitig das Schlechte verkörpert: die verführerische Sünde schlechthin, die es zu bestrafen gilt.
Wir kennen ihn auch aus der Nachbarschaft, von der Arbeit, vom Einkaufen- man begegnet ihm immer wieder und überall. Er ist der höfliche Kollege, der davon überzeugt ist, Brock Turner habe lediglich drei Monate verdient- schließlich würde man dem Jungen sonst die Zukunft versauen, und die Frau habe die Vergewaltigung im Zustand der Bewusstlosigkeit doch sowieso nicht mitbekommen; er ist der unheimlich charmante verheiratete Doktor, der, wenn die Becircte ihn abweist und einen anderen erwählt, den großen Auftritt sucht, während dem er mit Verachtung klarmacht, dass in seinen Augen damit selbstverständlich nicht er an Wert eingebüßt hat, sondern sie- von dem doktorentitelunbehafteten Mann an ihrer Seite mal ganz zu schweigen…. Man sieht, die Liste ließe sich hier endlos fortsetzen. Aber ich möchte die leser’sche Geduld nicht überstrapazieren, und zudem bin ich auf ein hübsches Sätzchen gestoßen- wobei es sich um eine Aussage von Herrn N. Mensch höchstpersönlich handelt- das seine Einstellung auf den Punkt bringt:
„Der Feminismus treibt einen Keil in die Gesellschaft.“
Da ist sie wieder: die Ironie. Denn Feminismus bedeutet ganz im Gegenteil, dass alle Menschen gleichgestellt sind. Alle. Er ist der Keilentferner. Das mag der eine oder andere Keiler noch immer nicht verstanden haben, doch ansich muss man nicht M. Anze heißen, um zu erkennen, dass da was schiefläuft im Staate Herrenmark. Dass man etwas tun muss, im Großen wie im Kleinen. Dass es hier nicht „nur“ um Frau N. Mensch, sondern um Mensch geht. Denn Herr N. Mensch ist ja der Überzeugung, die Welt gehöre ihm. Es mag ein herabfallendes Blatt gereicht haben, um das Selbstbild von Narziss zu zerstören, aber man kann nicht immer auf einen zufällig vorbeihuschenden Windhauch hoffen, man muss ihn selbst entfachen, den Wind, und im Großen auch mal einen Sturm. Denn letzterer befindet sich nicht im Wasserglas, auch wenn verblüffend viele dieser irrigen Annahme zu sein scheinen und es der Bergnymphe gleichtun, die sich blenden und verwirren ließ, bis sie sich auflöste und nur noch ein kümmerliches Stimmchen übrig war, das alles ihr Vorgesagte brav wiederholte. Und am Schluss vielleicht selbst noch glaubte.
Vom großen Rest von uns sei allerdings ausgerichtet:
Sehr geehrter Herr N. Mensch,
wir lassen uns scheiden.
MfG,
Rhonnie (i.A.)