Fasziniert vom Menschlertum, das kulturunabhängig und sowohl jahrhundert- als auch globusumspannenderweise ganz erstaunliche Gemeinsamkeiten aufweist. Nehmen wir zum Beispiel den Jammerer. Er könnte fast eine Figur aus dem Kleinen Prinzen sein, gefangen auf einem trostlosen Planeten, auf dem er sitzt und- jammert. Tagaus, tagein. Über alles. Und über nichts.
Ein Bekannter von mir kommt regelmäßig mit dem Spruch „Rhonnie, ich habe ein Problem…. [beliebiges Problem einfügen]“. Er schüttet mir sein Herz aus und besäuft sich dabei. Manche Probleme sind schwerwiegender Natur, manche erschließen sich mir auch nach einer Flasche Whiskey noch nicht. Unvergessen aber bleibt der Tag, an dem er kam und sagte „Rhonnie, ich habe ein Problem…. Ich habe kein Problem!“ An dem Abend soff er sich fast ins Koma. So weit, so harmlos (außer für meinen Hausbarbestand, aber er beschenkt mich dafür an jedem Geburtstag sehr großzügig. Mit seinem Lieblingswhiskey.).
Nun aber geben wir dem Jammerer Internet. Was früher der Stammtisch allein bewältigen musste, erledigen heute die sogenannten „Echoräume“. Mit zwei eklatanten Unterschieden: Erstens hat der Stammtisch meist eine begrenzte Zahl von Teilnehmern. Und zweitens gibt es an ihm immer noch die ein oder andere Meinung, noch dazu von Menschen, die man kennt und die man schätzt. Das findet sich in den Echoräumen kaum. Da wird einander geliked und beklatscht, auch die abstrusesten Theorien und Meinungen finden Anklang. Und, wie das Echos eben so an sich haben: Alles wird vervielfacht. Da geht ein Lieschen Müller (Name von der Redaktion geändert) also zum Beispiel rein, weil sie es damals nicht so super fand, dass Gabriel sie und andere als „Pack“ bezeichnet hat. Verständlich, auch ich fand das daneben. Wo andere aber, die Nicht-Jammerer, sich vielleicht kurz ärgern, um danach wieder ganz normal weiterzuleben, weil sie natürlich wissen, dass die Tatsache, dass ein einzelner Idiot einen beschimpft hat, für das eigentliche Leben von gar keiner Bedeutung ist- da, ja da fängt der Jammerer erst an. So ein Vorfall wird für ihn zum Lebensinhalt (darin unterscheidet er sich übrigens von meinem Bekannten), zum Kickstart für eine Tirade von Selbstmitleid. Der Jammerer fühlt sich in der Quintessenz ungerecht behandelt und vor allem: Nicht ernstgenommen. Hat er teilweise sicher nicht ganz unrecht. Fühlt sich doof an. Aber das als Grund dafür anzuführen, dass manche sich so aufführen, wie sie es tun, ist falsch. Im Gegenteil: Das wirklich große Problem ist das plötzliche viel zu Ernstgenommenwerden. Das Selbstmitleid wird selbstgerecht. Und so wird Lieschen Müller von ihren Mitleidern glücklicherweise sehr bereitwillig mit hundertsiebenunddreißig zusätzlichen Jammergründen ausgestattet, von deren Existenz sie bis dato noch nicht mal etwas ahnte. Die trägt sie dann in die Welt hinaus, da der Echoraum sie zu dem Trugschluss verleitet, dass das alles die „Wahrheit“ sei. Natürlich ist ihr Erstaunen dann groß, wenn sie merkt, dass ihr im realen Leben höchstens mal ein mitfühlendes Lächeln dafür geschenkt wird. Woraufhin sie in den Echoraum zurückkehrt, um genau darüber zu- man errät es- jammern. Und Verständnis zu bekommen. Und Likes. Man merkt: Es ist ein Teufelskreis. Man kann Lieschen vielleicht sogar irgendwie verstehen.
Aber.
Wenn da dieses vertrackte „Aber“ nicht wäre….
Lieschen hat nämlich durchaus Menschen in ihrem Umfeld, die sie in ihrer ursprünglichen Not verstanden und die versuchen, ihr zu helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Man sollte meinen, Lieschen fände das schön und würde merken, dass es doch alles nicht so wild ist, wie sie befürchtet hat und sich einreden ließ. Doch das will sie nicht. Lieschen will partout nicht in die Situation kommen, in der sie morgens um fünf verkatert auf meinem Sofa aufwacht und merkt, dass dieser Kater momentan ihr einziges tatsächliches Problem ist. Keiner darf ihr das Jammern klauen. Sie hat ja sonst nichts.
Die restliche Welt besteht nicht nur aus Pack-Nennern. Es gibt genug Händereicher, Versteher, Differenzierer, Nicht-alle-in-einen-Topf-Werfer und Ernstnehmende. Aber ab diesem Punkt gehen wir nicht mehr mit.
Liebe Wutbürger, Alt Rights, Islamisten und wie Ihr Euch sonst noch so nennt: Jammert. Wirklich. Jammert nach Herzenslust. Aber wenn Euer Ziel gar nicht der Zustand des Nichtjammernmüssens ist, sondern nur darin besteht, auch anderen das Leben zu verhageln, dann müsst Ihr auch damit leben, dass außerhalb der eigenen Räumlichkeiten das Echo auf einmal ganz anders klingt. Und nicht immer wirklich wahnsinnig nett.
Worüber Ihr dann natürlich wieder (endlich!) jammern könnt. Und das habt Ihr Euch diesmal tatsächlich im Alleingang selbst verdient. Für diesen Verdienst gibt es zwar ungerechterweise noch keine Medaille. Aber bestimmt den einen oder anderen Like.
Und vielleicht irgendwann tatsächlich einen ganz eigenen Planeten.
Darauf hofft,
Eure Rhonnie